[LiteraTour Nord] Ralph Dutli – Soutines letzte Fahrt

Nachdem Abbas Khider vor drei Wochen mit seiner Lesung aus ,Brief aus der Auberginenrepublik‘ (hier mein Bericht) die diesjährige LiteraTour Nord in Lübeck eröffnen durfte, folgte am gestrigen Abend Ralph Dutli. Mit dem gebürtigen Schweizer ging auch der erste Buchpreisanwärter dieses Jahres ins Rennen um den Preis der LiteraTour Nord. Im Kellergewölbe des Lübecker Buddenbrookhauses las Ralph Dutli aus seinem ersten Prosawerk ,Soutines letzte Fahrt‘, aus seiner geschickten Verquickung von Realität und Fiktion rund um den weißrussischen Maler Chaim Soutine. Soutine blieb zeit seines Lebens eher unbekannt und unentdeckt. Einige wenige sahen zwar bereits zu Lebzeiten sein Talent, insgesamt blieb der stille und gequälte Chaim Soutine doch immer im Schatten seiner großen Weggefährten – Modigliani, Picasso, Chagall.

modigliani soutine

Modigliani – Chaim Soutine (1916)

An einem offenen Magengeschwür leidend wird Soutine im Winter ’43 in einem Leichenwagen zu einer lebensnotwendigen Operation nach Paris gebracht. Um den französischen Kontrollen zu entgehen, wählte man ein eher ungewöhnliches Vehikel, – die Aussagen darüber, ob es sich nicht doch um einen konventionellen Krankenwagen gehandelt habe, gehen, wie Dutli selbst sagt, an der einen oder anderen Stelle auseinander. Er brauchte jedoch für die Fiktion, für das, was er erzählen wollte, eher den Leichenwagen, sagt der Autor lächelnd. Während dieses Transports verabreicht man ihm Morphium. Einerseits natürlich, um seine Schmerzen zu lindern, andererseits um ihn ruhigzustellen. Im Fieber und Morphinrausch beginnt er zu halluzinieren, von Vergangenheit und Gegenwart, von seiner Kindheit im russischen Smilavichy und seiner Ankunft im pulsierenden Paris.

Schon als Ralph Dutli zu lesen beginnt, wird deutlich, dass seine sonore Stimme sanft durch die Geschichte tragen wird. Betont, deutlich und langsam führt Dutli in drei verschiedenen Blöcken rund fünfundvierzig Minuten in seinen Roman. Von der besänftigenden Wirkung des Morphins über die Fantasien von einem Weißen Paradies ist Dutlis bildreiche Sprache in Verbindung mit seiner Stimme so einnehmend, dass man sich unweigerlich hineinversetzt fühlt in diesen Roman. Besonders das Weiße Paradies (auch Titel eines Kapitels) sei ihm als Bild sehr wichtig gewesen, betont Dutli. Er habe nicht nur einen biographischen Roman über Chaim Soutine schreiben wollen, schließlich habe er bereits die Dichterbiographie über Ossip Mandelstam geschrieben und man steige bekanntlich nicht zweimal in denselben Fluss – er habe auch eine Geschichte über das Leben schreiben wollen, eine Art Gleichnis. Weiß spielt bei Soutine eine große Rolle, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit seinem Magengeschwür, das sich zu mancher Zeit nur noch durch mit Bismuthpulver versetzte Milch besänftigen ließ. Weiß bedeutet Schmerzfreiheit, Heilung, Reinheit – doch um welchen Preis?

collagedutliDem Maler wird das Malen untersagt, in seinem weißen Paradies. Er liegt auf weißen Laken, nimmt ausschließlich weiße Nahrung zu sich, ,aus dem Ei hatten sie das Eigelb entfernt‚. Als nach der Lesung ein Gast vorsichtig fragte, ob ein Maler sich das Paradies denn, nach Dutlis Dafürhalten, weiß vorzustellen habe, antwortet der, dass es eine unangenehme Vorstellung des Paradieses sei. Nicht nur für den Maler. So sei das Leben doch geprägt von Farben verschiedenster Facetten, – und so spielen diese Facetten und Spielarten von Farbe auch im Roman eine große Rolle -, es sei in dieser weißen Sterilität doch letztlich unerträglich, dem Tod näher als dem Leben. Auch im der Lesung folgenden Gespräch erschließt sich so manches Bild des Romans, so manches Detail. Vor jeder Passage, die er liest, erläutert Dutli kurz, worum es geht, verleiht dem Text zusätzlich Tiefe. So erläutert er auch, der Name des auftretenden Dr.Bog bedeute im Russischen Gott. Ralph Dutli hat Russistik studiert, zehn Jahre in Paris gelebt. Das verbindet ihn gewissermaßen mit dem russischstämmigen Soutine, wie er selbst zugibt. Eine glückliche Fügung.

Er habe schon lange vorgehabt, über Chaim Soutine etwas zu schreiben, jedoch fehlte ihm stets der richtige Zugang. In Paris nahe dem Friedhof lebend, auf dem Soutine begraben liegt, gelangte er einerseits durch die Spaziergänge in der Umgebung, andererseits aber auch über das stilistische Instrument des Morphins zum Eingang in die Geschichte. Das Morphin, wie Dutli sagt, eröffnete ihm ganz andere Möglichkeiten, die Halluzinationen des Malers ermöglichen Vieles, was sonst jeder Chronologie oder Wahrscheinlichkeit zuwidergelaufen wäre. Ein rundum gelungener Abend endet mit dem Signieren seiner Bücher und dem ein oder anderen Gespräch, für das sich Ralph Dutli auch gern die Zeit nimmt. Obwohl ich seinen Roman bereits im Rahmen von ‚5 lesen 20‘ besprochen hatte (hier nachzulesen), wirkte die Lesung angenehm erweiternd und ergänzend, was nicht zuletzt Ralph Dutlis famosen Vortragsqualitäten zu verdanken ist.

[5 lesen 20] Ralph Dutli – Soutines letzte Fahrt

dutliRalph Dutli ist ein Schweizer Lyriker, Essayist, Übersetzer und Autor. Er studierte Romanistik und Russistik in Zürich und Paris und wurde zunächst als Übersetzer und Herausgeber der Werke Ossip Mandelstams, einem russischen Dichter, bekannt. Schrieb Dutli bisher eher poetologische Abhandlungen oder literatur – und kunsthistorische Essays, legt er mit ‚Soutines letzte Fahrt‚ nun seinen ersten Roman vor, der gewissermaßen verschiedene seiner Themen vor dem Hintergrund des Malers Chaim Soutine verbindet. Der Roman erschien im Wallstein Verlag und steht mit neunzehn anderen Romanen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2013.

Verglichen mit seinen Wegbegleitern Picasso, Chagall oder Modigliani ist Soutine eher ein Maler, der seine Spuren weniger nachhaltig in den Boden der Kunsthistorie geprägt hat. Kennern ist er freilich ein Begriff, sind seine Gemälde sich windender Landschaften und unproportionierter Modelle wohl bekannt. Der Laie aber dürfte mit Dutlis Roman zum ersten Mal von diesem schweigsamen, weißrussischen Maler hören, der in den späten 20ern in Paris, in der flirrenden Atmosphäre von Montparnasse tatsächlich mit seinen Bildern perspektivischer Verzerrung zu beachtlicher Berühmtheit gelangte. Als Sohn eines Flickschneiders 1893 in Smilavichy, einem rund 400-Seelen-Dorf nahe Minsk, geboren, war die Malerei schon früh eine seiner Leidenschaften, die jedoch auf wenig Unterstützung seitens seiner Familie stieß.

Schon früh zeichnet er, jeder Fetzen Papier ist eine neue Versuchung, er macht rasche Skizzen, wenn er allein ist, den Blick immer wieder ängstlich auf die Tür gerichtet, ob nicht plötzlich jemand eintritt, ihm den Fetzen aus der Hand reißt und ihn verprügelt. Er bemalt die Wände der Kellertreppe mit Holzkohle. Auch dafür gibt es Schläge.

Die Handlung setzt nun im August 1943 ein, in dem Soutine, mit einem Magendurchbruch und schon kaum noch ansprechbar, in einen Leichenwagen verladen und nach Paris gefahren wird, um dort operiert zu werden. Nicht auf direkter Strecke, denn das Land ist noch immer von den Deutschen besetzt, sondern über unwegsame Pfade um jeden Kontrollposten herum, da Soutine bereits einige Zeit wegen seiner jüdischen Abstammung von der Gestapo gesucht wird. Schon seit Jahren bereitet ihm sein Magengeschwür unsägliche Schmerzen, die jetzt, wo er unter einem weißen Tuch im Leichenwagen um sein Überleben kämpft, nahezu unaushaltbar werden. Nur das Morphium, das ihm vor Beginn der Reise verabreicht wird, vermag die Schmerzen noch zu lindern. Mit ihm fährt Marie-Berthe Auranche, ehemalige Geliebte und Muse vieler Surrealisten, darunter Max Ernst.

soutine

Chaim Soutine v.l. Carcass Of Beef, The Floor Waiter, Landscape at Cagnes

O ja, es gibt immer so etwas wie eine Heilung. Von allem. Und wenn sie Exitus heißt.

Unter dem Einfluss des Morphiums und bedingt durch das hohe, vom Magendurchbruch verursachte Fieber beginnt Chaim Soutine zu fantasieren, in eine Traumwelt abzugleiten, in der sich Erscheinungen und reale Begebenheiten, Einbildung und Erinnerung zu einem mitunter beängstigenden Gemisch vermengen. So fantasiert er von seiner Ankunft in Paris, von seinen Trinkgelagen mit dem todkranken und tuberkulösen Frauenheld Modigliani, vom tragischen Selbstmord seiner schwangeren Freundin Jeanne Hébuterne. Ein bisschen auch vom aufdringlich geschwätzigen Henry Miller, von seinem großen Vorbild Rembrandt. In seine Halluzinationen verfolgen ihn auch alle Bilder, die er in Anfällen von Tobsucht und Jähzorn auf verschiedenste Art vernichtete.

Nichts als dumpfe Traurigkeit und Leere. Im Feuerritual war mehr wütender Triumph: das Hervorzerren der Leinwände, die Fäuste am Rahmen festgekrallt, das Hineinschleudern in den rauchenden, schlecht ziehenden Kamin, das Auflodern, wenn die Flammen das Öl geleckt hatten. Keiner hat mehr Bilder zerstört als er, keiner.

Und so bezeichnet der, der den Ruf „des unglücklichsten Malers von Paris“ genießt, sich auch häufig ganz zur Entrüstung aller Umstehenden als „Mörder seiner Bilder“. Wenn er denn überhaupt redet. Soutine ist schüchtern, ängstlich. Hat nichts von seinen extrovertierten und dandyhaften Wegbegleitern. Weil Milch und Bismutpulver die einzigen Mittel sind, die gegen seine bohrenden Magenschmerzen noch zu helfen vermögen, fantasiert er sich im Leichenwagen in ein gänzlich weißes Paradies, in dem er zwar schmerzfrei, es ihm aber streng verboten ist, jemals wieder zu malen.

Ralph Dutli glückt mit diesem Roman eine meisterhafte Verquickung von kunsthistorischen Tatsachen und Fiktion. In eindringlicher Sprache breitet er das Leben – und gleichzeitig gewissermaßen auch das Sterben – Chaim Soutines vor uns aus. Im Vordergrund steht zwar der weißrussische Maler, doch im Hintergrund spielen sich allerlei historische und künstlerische Bedeutsamkeiten ab, die seine Erlebnisse plastisch und authentisch in diesen uns wohlbekannten geschichtlichen Ablauf betten. Das Leben vieler Künstler war von Hunger und Armut geprägt, mit der Machtübernahme Hitlers vielfach auch von einem Kampf ums nackte Überleben. Dieser Roman lässt uns in die Geschichte eintauchen und eine hervorragend ausgefeilte Sprache genießen. Dutli gibt diesem geplagten Maler mit seinen Worten ein Gesicht, weckt Interesse an seiner Kunst. Viel mehr kann man von einem guten Roman, der sich realer Personen und Geschehnisse bedient, eigentlich gar nicht erwarten. Chapeau, Herr Dutli!

Jeder Verrat ruft nach einem weiteren Verrat, jede Verletzung erzeugt eine neue, nächste. So bleibt die Erde am Drehen.