Jonas T. Bengtsson – Wie keiner sonst


Bengtsson

Jonas Bengtsson ist ein dänischer Autor. Für seinen ersten Roman Aminas Briefe wurde er 2005 mit dem Dänischen Debütantenpreis ausgezeichnet. 2007 folgte sein zweiter Roman Submarino, der von Thomas Vinterberg verfilmt wurde. Wie keiner sonst ist sein dritter Roman. Frank Zuber übersetzte ihn aus dem Dänischen ins Deutsche.

Dieser Roman ist, da wird er seinem Namen zweifellos gerecht, in der Tat wie keiner sonst, den ich in der letzten Zeit gelesen habe. Es war mein erster Roman von Jonas Bengtsson, doch es kostet nicht viel Zeit, herauszufinden, dass Bengtsson eine Vorliebe für Geschichten vom Rande der Gesellschaft hat, Geschichten von Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, die sich längst abgewandt haben von dem, was man gemeinhin unter Normalität versteht. In seinen Romanen geht es um Gewalt, um Schmerz, um Krankheit und Sucht. Stets dreht es sich um die Suche nach Halt und Geborgenheit unter denkbar schlechtesten Bedingungen. So auch in seinem neuesten Roman Wie keiner sonst, erschienen im Kein & Aber Verlag.

Wir begleiten einen siebenjährigen Jungen und seinen Vater in ein völlig chaotisches Leben. Es ist geprägt von ständigen Umzügen, die der Vater seinem Sohn niemals erklärt. Irgendwann ist es einfach immer soweit und sie müssen wie Nomaden weiterziehen, in kleine Absteigen und Bruchbuden ohne Namensschilder. Der Ich-Erzähler geht nicht zur Schule, obwohl er es sich doch von Herzen wünscht, sein Vater bringt ihm stattdessen das Nötigste bei, hier ein bisschen Rechnen und da ein bisschen Geschichte.

Ein Geräusch weckt mich auf. Wie ein Tier, das sich zum Sterben in unsere Küche gelegt hat. Ich weiß, was es ist, und dass es noch weitergehen wird. Vielleicht zehn Minuten, bis die Sonne aufgeht. Mein Vater liegt zusammengekrümmt auf der Pritsche. Sein T-Shirt ist nass vor Schweiß. Er krallt sich fest in die Decke, es wäre nicht das erste Mal, das er einen Bezug zerreißt. Ich streichle ihm über die Haare, die langen, verschwitzten Strähnen kleben auf seiner Haut. Ich hole einen sauberen Lappen und trockne ihm Hals und Stirn. Jedes Mal, wenn wir umziehen, hoffe ich, dass die Albträume nicht mitkommen.

Mit den Umzügen einher gehen ständige Jobwechsel. Mal arbeitet „Peters“ (Peter hieße er gern, aber seinen richtigen Namen erfahren wir nicht) Vater für eine entstellte Dame im Garten, mal in einem Stripclub, mal trägt er Zeitungen aus, kümmert sich um die Lichtanlage eines Theaters und mal arbeitet er in einer Werkstatt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Möbelstücke nicht zu restaurieren, sondern so aussehen zu lassen als seien sie Jahrzehnte alt. Mithilfe eines Bohrers, Schleifpapier und etwas Kaffeesatz nehmen „Peter“ und sein Vater einige kosmetische Eingriffe an dem in die Werkstatt gelieferten Mobiliar vor.  Manchmal vergisst man beim Lesen fast, dass die beiden wie Kleinkriminelle leben, ab und an klaut „Peters“ Vater etwas im Laden und weil er nicht krankenversichert ist, muss er den Zahnarzt überreden, seinen Sohn noch nach Praxisschluss zu behandeln. Immer tiefer wird man hineingezogen in diese Scheinwelt, in der „Peter“ zu leben gezwungen ist, bis auf der Kundgebung einer Politikerin plötzlich alles eskaliert.

Der Roman erzählt eine Zeitspanne von 14 Jahren, von 1986 bis 2000 begleiten wir „Peter“, der nach der Eskalation und einigen darauffolgenden Jahren sechzehn ist, als wir ihn wiedertreffen. Er lebt ohne seinen Vater, bei seiner Mutter und seinem Stiefvater. Er ist schwierig und hat Probleme in der Schule. Niemand hat mit ihm über das gesprochen, was mit seinem Vater geschehen ist. Als eines Tages seine Großmutter anruft, läuft er von zuhause weg und begibt sich nicht nur in das Pfarrhaus in der dänischen Provinz, in dem sein Vater aufgewachsen ist, sondern auch auf die Suche nach Erklärungen für das, was seine Kindheit mehr als alles andere geprägt hat – die Krankheit seines Vaters.

„Du siehst deinem Vater ähnlich“, sagt sie. „Deine Haare sind dunkler, aber ihr habt dieselben Augen. Dieselben wie eurer Großvater. Damit meine ich nicht die Farbe.“
„Was ist mit meinem Vater geschehen?“
„Er ist krank geworden, das hat deine Großmutter sicher..“
„Aber warum ist er krank geworden?“
Ich glaube, sie will etwas sagen, aber dann nimmt sie einen tiefen Zug aus der dünnen Zigarette.
„Er ist wohl nicht der Einzige, der ein bisschen sonderbar geworden ist, weil er die Nase zu tief in seine Bücher gesteckt hat.“ Sie steht auf und geht hinein.

„Peter“ stößt auf eine beharrliche Mauer des Schweigens, mehr als Andeutungen kann er niemandem entlocken. Weder seiner Großmutter, noch seiner Tante, noch seinem sterbenden Großvater, der ihn mit seinen letzten Worten um Verzeihung bittet. In letzter Konsequenz und angesichts der Tatsache, dass die Tat seines Vaters auf dieser Kundgebung auf ewig mit seinem Namen verbunden sein wird, streift „Peter“ das letzte ab, was ihn mit seiner Vergangenheit verbindet – und wird der Maler „Mehmet Faruk“, obwohl er nicht im Entferntesten türkisch aussieht.

Nachts träume ich von einem Kohlestift, der so klein ist, dass ich ihn nur mit den Fingerspitzen halten kann. Ich werde die ganze Welt zeichnen, sonst fällt sie aus den Fugen.

Jonas Bengtssons Roman lebt von dem, was nicht gesagt wird, von dem, was unter der Oberfläche schwelt. Es gelingt ihm vortrefflich, die Dynamik einer dysfunktionalen Familie aufzuzeigen, in der ein Credo des Schweigens vorherrscht. Mit einer lakonischen und völlig unsentimentalen Sprache schafft Bengtsson eine Beiläufigkeit, die in nahezu unaushaltbarem Kontrast zu dem steht, was da passiert. Ist man zu Beginn noch der Überzeugung, „Peters“ Vater sei vielleicht ein Kleinkrimineller, wird einem mit langsamen Fortschreiten der Geschichte bewusst, dass es wohl kein Verbrechen, sondern eine schwere psychische Krankheit ist, die ihn vom Rest der Welt trennt. Dieser Roman ist beklemmend und unangenehm, bravourös setzt Bengtsson hier das Scheitern an sich selbst und seiner Umwelt in Szene. Das Ende konnte mich zwar nicht ganz überzeugen, zu konstruiert schien es mir doch, aber trotzdem bleibt dieser Roman eine gelungene und authentische Studie menschlicher und emotionaler Zerrüttung.

Ein Gedanke zu “Jonas T. Bengtsson – Wie keiner sonst

  1. Pingback: Wie keiner sonst – Jonas T. Bengtsson | buzzaldrins Bücher

Hinterlasse einen Kommentar