Martin Winckler – Es wird leicht, du wirst sehen

eswirdMartin Winckler ist ein französischer Arzt, Übersetzer und Schriftsteller. Bekannt wurde er mit seinem 2000 erschienenen Roman ‚Doktor Bruno Sachs‘ („La maladie de Sachs“), der verfilmt und in 14 Länder verkauft wurde. Sein neuer Roman ,Es wird leicht, du wirst sehen‘ erschien unlängst in der Übersetzung von Doris Heinemann im Kunstmann Verlag und widmet sich einem kontrovers diskutierten Thema – dem selbstbestimmten Umgang mit dem Tod.

Es ist ein Thema, über das wir alle ungern nachdenken. Es ist eine Debatte, die uns mit unserer eigenen Vergänglichkeit, der Endlichkeit unseres Lebens konfrontiert, mit der Hilflosigkeit angesichts einer schweren Krankheit. Emmanuel Zacks ist Arzt auf einer Schmerzstation. Er ist Spezialist für die verschiedensten schmerzlindernden Medikamente, Opioide und Morphine, Lokal – und Allgemeinanästhetika. Nach dem Studium lernt er die zahlreichen Erscheinungsformen von Schmerz kennen und lindern. Er hört den Menschen zu, nimmt sie wahr in ihrem Leid. Und veurteilt, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht etwa ihren Wunsch, ihrem Leben im Elend ein Ende zu bereiten. Während andere moralische, religiöse, ehtische Bedenken äußern, den Patienten ihre Zurechnungsfähigkeit absprechen, sieht Zacks das Bedürfnis nach Selbstbestimmung, solange ein selbstbestimmtes Handeln noch möglich ist.

Was für den anderen gut ist, ist nicht unbedingt das, was ich für mich haben will. Die Frage ist nicht, ob ich ohne Arme und Beine, unter ständiger Morphiumzufuhr und mit einem aus dem Magen ragenden Röhrchen weiterleben kann. Die Frage ist, ob ich auf diese Weise weiterleben will.

Eines Tages ruft ihn ein alter Freund an. André. In einem Hotelzimmer hält er sich vor seiner Familie verborgen, sein schweres Herzleiden ist irreparabel, eine Transplantation hat er abgelehnt. Er bittet Emmanuel, einige Dinge für ihn aufzuschreiben, die er nicht mit in den Tod nehmen will – aber er bittet auch noch um einen anderen Gefallen. Zacks soll ihm das Sterben erleichtern, soll an seiner Seite wachen, bis es vorbei ist. Er willigt ein und verabreicht seinem Freund eine zu hohe Medikamentendosis. Überraschenderweise plagen ihn keine Gewissensbisse, er fühlt sich lediglich mit den Heften überfordert, in denen er Andrés Geschichte festgehalten hat. Was soll er nun damit tun?

Von diesem Punkt an bekommt Zacks immer wieder Anrufe von Todkranken, die über verschlungene Pfade von seiner nicht ganz legalen Betreuung erfahren haben. Mehrmals trifft er sich mit ihnen und ist ihnen ein vorurteilsfreier und offener Gesprächspartner, ist er für die Sterbenden das, was nahe Angehörige aufgrund ihrer emotionalen Beteiligung oft nicht sein können. Und er notiert wie ein Chronist ihre letzten Lebensbeichten. Über einen seiner Patienten lernt er auch Nora kennen, eine selbstbewusste junge Frau, in die er sich verliebt und deren Vater erst kürzlich vor Beginn seiner Leukämiebehandlung aus unerklärlichen Gründen gestorben ist. Emmanuel weiß um die Gründe, .. er war dabei.

Doch manchmal reicht alle Erleichterung, Beruhigung, Zuwendung nicht aus. Manchmal sitzt der Schmerz weder im Körper noch im Denken. Es ist eigentlich nicht mehr ein Schmerz, sondern die von einem regelrecht herausgerissenen Stück des Selbst hinterlassene Leere. Eine unergründliche, nicht zu füllende Abwesenheit. Ein Fehlen.

Martin Wincklers Roman ist ein leises, aber intensives Memento Mori, ein prosaisches Innehalten und Sinnieren darüber, was im Leben und auch im Sterben von Belang ist. Wie wollen wir gehen? Sollen wir entscheiden dürfen, so lange wir noch die Möglichkeiten haben? Warum dürfen wir, wenn wir doch im Leben für alles, was wir tun, die Verantwortung tragen, nicht auch für das Ende unseres Lebens Verantwortung übernehmen? Es sind gewichtige Fragen, die Wincklers Roman aufwirft. Die Positionen zur aktiven Sterbehilfe sind teils sehr konträr, oft auch religiös im Hinblick auf die Überzeugung geprägt, dass das Leben ein Geschenk Gottes sei. Der Schweizer Verein Dignitas sieht das schon seit längerem anders, in der Schweiz ist die Beihilfe zum Freitod, wie es heißt, unter gewissen Umständen gestattet.

Es ist kein leichtfüßiges Buch, das Martin Winckler, als Arzt mit vielen der beschriebenen Situationen vertraut, hier vorlegt. Es ist ein Roman, der nachwirkt und trotz seines gringen Umfangs schon seiner Thematik wegen Spuren hinterlässt. Fragen. Auch Emmanuel, als Erzähler mitunter fast zutraulich und verbindlich, leidet im Alter an Krebs – wir alle sterben, schreibt er, aber wir sollten entscheiden können, wie. Alles in einem ein lesenswertes, ein fast schüchternes Buch über die Macht von Geschichten und ein selbstbestimmtes Leben!

Horst Evers – Wäre ich du, würde ich mich lieben

978-3-87134-762-7.jpg.677057Horst Evers (eigentlich Gerd Winter) ist ein deutscher Autor und Kabarettist. Aufgewachsen in Niedersachsen studierte er an der FU Berlin Germanistik und Publizistik. 1990 gründete er mit Freunden die Lesebühnenshow „Dr. Seltsams Frühschoppen„. 2002 gewann er den Deutschen Kabarettpreis, 2008 den Deutschen Kleinkunstpreis. Seine Texte werden regelmäßig auf Radio Eins von ihm vorgetragen. In gedruckter Form erscheinen sie im Rowohlt Verlag.

Inmitten einer schnelllebigen und wenig verlässlichen Zeit der permanenten Um – und Neugestaltung muss es Autoren geben, die uns Felsen in der Brandung sind. Autoren, von denen wir wissen, dass sie stets und ständig genau die Qualität produzieren, für die man sie so liebt. Autoren, die einen mutmaßlich niemals negativ überraschen würden, weil sie im Vollbesitz ihrer humoristischen Kräfte und eines erstaunlich sicheren Händchens für Pointen des Alltags sind. Autoren wie Horst Evers eben.

Vor meinem inneren Auge erscheint ein Bild aus der Vergangenheit. Ich kannte mal eine Katja. Mit Anfang zwanzig war ich einige Wochen mit ihr zusammen. Sie war sprunghaft, extrem temperamentvoll und wirklich anstrengend. „Wäre ich du, würde ich mich lieben“, hatte sie irgendwann gesagt, „weil sonst hält man das mit mir nicht lange aus.“ Das stimmte. Obwohl ich es trotzdem nicht lange ertragen habe, hat mir ihr Rat später oft geholfen. Wenn etwas wirklich nicht mehr auszuhalten ist, hilft nur noch Liebe.

Auch mit seiner neuesten Textsammlung ‚Wäre ich du, würde ich mich lieben‚ beweist Horst Evers wieder einmal, dass er ein brillianter Beobachter des Alltäglichen ist. Einer, dem es in wenigen Sätzen höchst lässig und nonchalant gelingt, selbst der scheinbar belanglosesten Situation sozialen Mit-und Nebeneinanders (wie auswärtige, auf Fahrrädern in Schrittempo die Berliner Innenstadt begutachtende Besucher aus dörflichen Regionen) noch eine humoristische Note abzuringen. Es ist ganz egal, ob das genau so passiert ist, gleichgültig, ob Evers noch etwas dazu erfindet, das tägliche Leben Evers 2.0 überflügelt die Realität spielend. So zum Beispiel, als die Nachbarskatze Hildegard von Bingen stets tote Mäuse vor die Tür legt, die er, phantasievoll wie er ist, auch als potentielle Drohungen der Mafia verstehen könnte.

Ich hätte das Ganze bald wieder vergessen, wäre es nicht drei Tage später nochmal erheblich ekliger geworden. Da liegt nämlich erneut eine Maus auf der Fußmatte. Diesmal jedoch schon einigermaßen zerfetzt. In quasi vier Teilen läppert sie so über die Fußmatte. O guck mal, denke ich, die Mafia stottert!

Ob er in einem französischen Einkaufszentrum der Zukunft anderen Kunden einen Cappuccino aus dem fortschrittlichen Automaten hustet oder dem visionären Jungunternehmer eines Dschuhs-Hostels in Berlin die Chicorée-Salami aufschwatzt, die er alljährlich seit zwanzig Jahren von der Mutter einer Ex-Freundin zugesandt bekommt, stets ist es ein Vergnügen diesen, zugunsten der Komik, leicht verwandelten Situationen beizuwohnen. Horst Evers Texte sind so abgefasst, dass man denkt: Hey, sowas kann ich auch schreiben, um nach einigen erfolglosen Versuchen ernüchtert festzustellen, dass es dafür eben doch einen Horst Evers braucht. Denn wenige beherrschen den Ernst bei aller Komik (oder umgekehrt?) so brilliant wie er.

Ein Bekannter aus der IT-Branche erzählte mir kürzlich: Die erfolgversprechendste Lösungsstrategie für plötzlich auftretende, kaum erklärliche Anwendungsprobleme bei Computerprogrammen sei die sogenante Ehua-Routine. Ehua ist hier tatsächlich mal ein deutscher Begriff und steht für: „Einfach hoffen und abwarten“. Bei technischen Problemen sei dies der Heilungsansatz mit der mit Abstand höchsten Erfolgsquote.

James Salter – Alles, was ist

james_salterJames Salter ist ein amerikanischer Autor. Er studierte an der Militärakademie West Point und trat 1945 in die Air Force ein. Zwölf Jahre diente er dort, in den USA, im Pazifik und in Korea. 1956 erschien sein erster Roman ‚The Hunters‚, der vor dem Hintergrund von rund 100 Einsätzen in Korea geschrieben wurde. 1998 erhielt Salter den Faulkner Award. Alles, was ist, erschienen im Berlin Verlag, übersetzt von Beatrice Howeg, kam beinahe übrraschend, hatte Salter doch seit acht Jahren kein Buch mehr veröffentlicht.

Ganz unbestritten ist James Salter ein großer Erzähler. Von manch einem bereits auf eine Stufe gestellt mit Flannery O’Connor und Tennesse Williams weiß er in ruhigem und gemäßigtem Ton sein Publikum zu fesseln, kann er mit klassisch traditioneller Erzählkunst begeistern. In seinem neuen Roman gibt Salter uns Einblick in das Leben Philipp Bowmans. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Teil der Navy in der Schlacht um Okinawa. Er ist geachtet und respektiert, daran lässt Salter keinen Zweifel aufkommen, als er mit genau dieser Schlacht seinen Roman beginnen lässt.

Der Krieg im Pazifik war anders als der Rest. Allein die Entfernungen waren enorm. Es gab nichts außer endlosen Tagen auf See und fremdartige Namen von Orten, die tausend Meilen auseinanderlagen. Es war ein Krieg der vielen Inseln, es galt, sie Japan zu entwinden, eine nach der anderen.

Durch Kamikazeflieger getroffen sinkt das Schiff, manche können sich retten, unter ihnen auch Bowman, andere widerum finden im Pazifik den Tod. Nach Beendigung des Krieges wieder in New York, muss er sein Leben neu organisieren. Er beginnt, in einem kleinen Verlag namens Braden und Baum als Lektor zu arbeiten und trifft in einer Bar am St.Patrick’s Day zufällig eine hinreißende Dame. Vivian Amussen ist ihr Name und sie wird Bowmans erste Frau werden. Eine Frau, von der er sich nicht vorstellen kann, dass jemals eine andere ihren Platz einnehmen wird. Die beiden heiraten überstürzt, im Überschwang und voller idealistischer Vorstellungen, die sich jedoch im Laufe der Zeit nicht bewahrheiten. Viel mehr sind es Luftschlösser, aus denen lanngsam die Luft entweicht.

Es war sinnlos mit ihr zu reden. Er konnte sich kaum dazu bringen, sich neben sie ins Bett zu legen.Das Gefühl der Entfremdung war so stark. Er zitterte fast, er konnte nicht schlafen. Schließlich hatte er sein Kissen genommen und sich auf die Couch gelegt. Jetzt gab es die Gegenwart des anderen nicht mehr, wenn auch nur unsichtbar, das Bewusstsein seiner Stimmungen oder Gewohnheiten.

Vivian kehrt zu ihren Eltern zurück, um ihre Mutter, die einen Schlaganfall erlitten hat, zu pflegen, Bowman schlägt einen anderen Weg ein. In der Verlagsbranche erreicht er langsam ein gewisses Renomée, man vertraut auf ihn und sein Urteilsvermögen. Braden und Baum gewinnt an Einfluss. Und Bowman taumelt durch sein Leben. Neue Frauen betreten es, die ihm stets wie das Wunderbarste erscheinen, das er sich vorstellen kann. Doch nichts ist von Dauer. Er betrügt, er wird betrogen, er enttäuscht und wird enttäuscht. Es ist der Lauf der Dinge, könnte man meinen und eine stete Suche nach Glück und Zufriedenheit, die immer nur phasenweise zu einem Ziel findet.

Manchmal gab es Verlegerpartys mit jungen Frauen in schwarzen Kleidern mit leuchtenden Gesichtern, die sich ein Leben davon versprachen, Mädchen, die in kleinen Apartments wohnten mit Kleiderbergen neben dem Bett und Fotografien vom Sommer, die sich an den Rändern wellten. Er liebte seine Arbeit. Das Leben war gemächlich und doch definiert.

Alles, was ist beschreibt – nomen est omen – tatsächlich ein Leben mit allem, was ist. Mit Liebe und Tod, Erfolg und Absturz, Beginn und Abschied. Es liest sich wie ein Querschnitt durch die Erfahrungen eines durchschnittlichen Mannes, den die gleichen Begierden und Dämonen plagen wie die meisten von uns. Salter verursachte im Feuilleton wahre Begeisterungsstürme, von denen ich nur bedingt mitgerissen werde. Es ist ein solide erzählter und facettenreicher Roman, in dem höchtwahrscheinlich eine Menge von Salter selbst steckt, war er doch genauso wie sein Protagonist beim Militär und durch seine schriftstellerische Tätigkeit mit dem Verlagswesen verbunden. Dennoch fehlte beim Lesen hin und wieder das Salz in der Suppe und so gerät die Lektüre von Alles, was ist zwar schmackhaft, könnte nach meinem Dafürhalten aber etwas Nachwürzung vertragen. Bowman bleibt eigentümlich fern, seine Frauen und die seiner Freunde, sind, abgesehen von Vivian, stetig wechselnde Nebenbesetzung. Mal heißen sie Viviane und Christine, dann Anet und Ann. Ein Kommen und Gehen ohne Beständigkeit, gänzlich ungewiss, ob Bowman selbst darunter leidet oder für sich den Beschluss gefasst hat, jede Möglichkeit zu ergreifen, wenn sie sich ihm bietet. ,Das Leben war gemächlich‚, schreibt Salter und genauso liest es sich auch.