David Wonschewski – Schwarzer Frost

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David Wonschewski ist ein deutscher Autor und Journalist. Über zehn Jahre lang war er als leitender Musikredakteur für einige der größten Sender Deutschlands tätig. Früher Teil dieser alles verschlingenden Medienmaschinerie, durchleuchtet er mit Schwarzer Frost, erschienen im Periplaneta Verlag, gnadenlos deren Verkommenheit. Wonschewski ist außerdem Initiator und Redakteur des Chanson -, Liedermacher – und Kleinkunstmagazins Ein Achtel Lorbeerblatt.

Abgründe sind faszinierend. Je tiefer und schwärzer, desto deutlicher drängt einem die eigene Endlichkeit, ja vielleicht sogar die eigene Bedeutungslosigkeit ins Bewusstsein. „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.„, schrieb Friedrich Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse. Auch der erzählende Protagonist, in ewigem Monolog befindlich, ist längst jenseits von Gut und Böse. Fern von Menschlichkeit, Wärme, Freude und Liebe. Er hat, wie er sagt, schwarzen Frost angesetzt und wartet auf den Besuch eines verhassten Kollegen aus dem Sender, bei dem er arbeitet. Lohwald heißt er. Ein dickbäuchiger, despotischer Egomane, ein Mann „im dritten Frühling„, ein Mann, für den der Erzähler zum Mörder werden könnte.

So gesehen bin ich durchaus ein Flüchtender, klar. Ich befinde mich auf der Flucht vor einem Status Quo, einem Hier und Jetzt, einem Ankommen und Verharren. Ich sage zwar: Jetzt. Doch ich denke bereits: Gestern. Deswegen erlebe ich schöne Momente ja auch niemals live, sondern immer nur als schwarz-weiße Rückschau. Und formuliere bereits Nachrufe, während alles noch in voller Blüte steht. Ich bin immer und überall, ich bin die fleischgewordene Zeitlosigkeit.

Der namenlose Ich-Erzähler hat, neben dem völlig unverständlichen und sinnlosen Besuch Lohwalds, den er ebenso sehr hasst wie der ihn, einige Probleme unterschiedlichster Art. Sein Freund Moritz hat sich in China das Leben genommen, nachdem er ihm wiederholt dazu geraten, ja, ihn geradezu gedrängt hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Seiner Freundin Marie hat er sechs Jahre lang ein Theaterstück von Liebe und Geborgenheit vorgespielt, obwohl er nicht mehr in der Lage ist, für irgendeinen Menschen etwas zu empfinden. Einen gewollten Untergeher hat sie ihn immer genannt. Ein Mensch, der das Entlangbalancieren am Abgrund braucht, um sich stetig selbst zu versichern, dass dieses Leben, Existieren, Vegetieren jederzeit vorbei sein könnte. Müsste.

Menschen wie Lohwald müssten verboten werden. Ich versuche, mir vorzustellen, was für ein totalitäres Staatssystem wohl am besten geeignet wäre, um Menschen wie Lohwald tatsächlich verbieten zu lassen. Oder ob das Verbieten von Menschen im Grundgesetz mit aufzunehmen wäre.

Lohwald wirkt, trotz gegenteiliger Schilderungen des Erzählers, durchtränkt von Zynismus und Misanthropie, weit weniger abstoßend. Mit Fortschreiten des Monologs, der sich in die Zeit vor Lohwald, mit Lohwald und nach Lohwald gliedert, beginnt man gar Mitgefühl für diesen unförmigen, schwitzenden und angeblich so selbstgerechten Radiomoderator zu empfinden, der früh seinen Vater verlor und dessen Sohn durch einen Autounfall zu Tode kam. Der Erzähler selbst kann keinerlei Schicksalsschläge als Begründung für seine emotionale Verrohung anführen, eines Tages ist es einfach über ihn gekommen.

Ja, ich bin Mitglied einer bedeutungslosen Generation. Ich bin weder Dylan noch die Beatles, bin weder Bowie noch Zappa oder Lou Reed, bin auch nicht Gary Numan oder Joy Division, Depeche Mode oder Human League. Und nicht einmal Duran Duran. Stattdessen bin ich Scooter und Blümchen, bin Dr.Alban und Snap, bin 2Unlimited und Mark’Oh. Ich bin die Generation Love Parade, ich bin die Generation Partydroge, ich bin die Generation Langeweile.

David Wonschewski erschafft mit seinem namenlosen Erzähler den Prototyp eines völlig Entfremdeten, die Blaupause für eine ziellose und nihilistische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die an nichts mehr glaubt, von nichts mehr überzeugt ist oder ihre Überzeugungen wechselt wie Unterwäsche und Lebenspartner. Man wird unversehens von Ekel und Faszination ergriffen. Eine stilistische Mischung aus Thomas Bernhard, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Bret Easton Ellis wurschtelt sich durch die Gehirnwindungen des Lesers, äußerlich geschieht nicht viel, innerlich umso mehr. Er taucht tief in die Gedankenwelt eines Depressiven, eines nahezu wahnhaft Analysierenden. In endlosen Gedankenschleifen stellt er sich die immer gleichen Fragen, kommt zu immer gleichen Ergebnissen und verzweifelt daran. Albert Einstein sagte einmal: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Dieser Definition wird unser Erzähler mühelos gerecht.

Wonschewskis Roman ist nichts für Zartbesaitete, ist nichts für Unterhaltungssüchtige. Es scheint als wate man mit fortschreitender Lektüre in zähflüssigem Morast, als verlaufe man sich in diesem Irrsinn. Das kann emotional bisweilen belastend sein, denn David Wonschewski gelingt es auf nahezu meisterliche Art, alles, was man lieben und mit Überzeugung als gut und richtig vertreten kann, in Grund und Boden zu schreiben. Das kann nicht jeder ertragen. Andererseits gleicht dieses Buch einem Tauchgang in die Untiefen einer menschlichen Psyche und eröffnet uns nach dem Auftauchen womöglich andere Perspektiven. So, wie es dort ist, muss es nicht sein. So, wie es im Kopf des Erzählers aussieht, – das ist vielleicht das Zynischste – sieht es vielerorts auf der Welt bereits aus. Aber es geht auch anders. Das ist womöglich das Heilsamste und Wichtigste, das man diesem Roman, neben einer unglaublich dichten und melodiösen Sprache, entnehmen kann. Sogar muss.

Deborah Levy – Heim schwimmen

HeimschwimmenDeborah Levy  ist eine britische Schriftstellerin. Bis 1981 besuchte sie das Dartington College of Arts, dann begann sie Theaterstücke sowie Beiträge für Radio und Fernsehen zu verfassen, die großen Anklang fanden. 1986 veröffentlichte sie mit Beautiful Mutants ihren ersten Roman. Heim schwimmen landete 2011 auf der Shortlist des Booker Prizes. Im Früher dieses Jahres ist es, von Richard Barth ins Deutsche übersetzt, auch im Wagenbach Verlag erschienen.

Dichter und Schriftsteller Joe Jacobs, seine Frau Isabel, deren pubertierende Tochter Nina und ein befreundetes Ehepaar fahren in ein Ferienhaus nach Frankreich. Joe und seine Frau haben sich schon lange nichts mehr zu sagen. Isabel ist Kriegsreporterin und dementsprechend häufig überall in der Welt, nur nicht zuhause. Ihre Tochter hat sich an ein Leben ohne ihre Mutter gewöhnt, zwischen ihnen herrscht kühle Distanz. Die Freunde Mitchell und Laura sind mitgefahren, um ihrem ganz eigenen existentiellen Desaster zu entgehen. Mitchell ist hoch verschuldet und die beiden werden ihren Laden für außergewöhnliche und kostspielige Souvenirs aus Afrika und Umgebung bald schließen müssen. Es ist kein Urlaub, wie man ihn sich wünscht, eher ein Alibi-Ausflug, um über all die Risse hinwegzutäuschen, die sich durch die Leben der Protagonisten arbeiten. Kitty Finch ist so ein Riss.

Der Swimmingpool im Garten der Ferienvilla glich weniger einem dieser tristen blauen Pools, wie man sie aus Urlaubsprospekten kennt, als einem Teich. Einem Teich in Form eines Rechtecks, den eine italienische Steinmetzfamilie aus Antibes aus dem Stein gehauen hatte. Der Körper trieb am tiefen Ende, wo das Wasser im Schatten einer Reihe von Pinien kühl blieb.

Splitterfasernackt treibt die rotgelockte Schönheit im Pool, in dem immer wieder zappelnde Insekten verenden. Sie sei Botanikerin, sagt sie und ihre grün lackierten Fingernägel bilden einen interessanten Kontrast zum rötlichen Haar. Ein bisschen extravagant ist sie, seltsam. Sie stottert. Irgendetwas müsse mit der Zimmerbelegung schiefgelaufen sein. Jürgen, der Hausmeister, könne das sicher aufklären, sie warte nur noch auf ein freies Hotelzimmer. Da es keine freien Hotelzimmer im Ort mehr gibt, bietet Isabel Kitty an, zu bleiben und läutet damit die letzte Runde im Kampf gegen unliebsame Wahrheiten ein.

Eigentlich ist Kitty nur gekommen, weil sie Joe bewundert. Sie hat ihr Gedicht mitgebracht, Heim schwimmen heißt es, ob er es nicht einmal lesen und ihr sagen könne, ob sie Potential habe. Kitty ist überzeugt, dass zwischen ihr und dem „Dichterarsch“, wie Mitchell ihn nennt, eine gedankliche Verbindung besteht, die tiefer reicht und intensiver ist als alles andere in ihrem Leben. In gespannter Erwartung freundet Kitty sich mit Nina an, Joe jedoch zögert das Lesen des Gedichts heraus und verdrängt es sogleich nach der Lektüre. Es schreckt Geister der Vergangenheit auf.

Über seine eigene Kindheit oder seine Freundinnen sprachen sie nie ein Wort. Es war weniger eine unausgesprochene, geheime Vereinbarung, eher wie ein klitzekleiner Glassplitter in ihrer Fußsohle, immer da, ein wenig schmerzhaft, aber sie konnte damit leben.

Kitty Finch ist Joes persönliche Verführung. Nicht nur bringt sie ihn dazu, zum wiederholten Male seine Frau zu betrügen, sie bringt ihn auch dazu, eine ganz andere folgenschwere Entscheidung zu treffen. Durch Deborah Levys dichten Roman weht ein Hauch Übersinnlichkeit. Kitty Finch, die geheimnisvolle Frau mit der lockeren Schraube, fungiert als Mahnmal, sie bohrt in den Rissen des Wohlfühlurlaubs und eines Lebens voll gut gehüteter Geheimnisse und eisigen Schweigens. Trotz seiner Kürze ist Heim schwimmen ein Roman mit Nachwirkungen. Viele Fragen lässt er unbeantwortet, viele Gefühle in der Schwebe. Man klappt ihn zu mit dem Gefühl der Betroffenheit, der Verwirrung. Gern hätte er noch einige Seiten länger sein, die einzelnen Figuren noch deutlicher beleuchten können. Aber vielleicht ist er in seiner Momentaufnahme auch am wirksamsten und eindrucksvollsten. In jedem Falle ein Roman, der sich aufgrund seiner intensiven und nahezu beklemmenden Atmosphäre zu lesen lohnt und die Frage aufwirft, ob nicht für uns alle irgendwann eine Kitty Finch kommt, die, ein bisschen unbedarft und ein bisschen boshaft, in unseren Wunden bohrt.

Eine weitere interessante Besprechung zu Deborah Levy findet ihr auf Buzzaldrins Bücher.